Pro Minute werden in Deutschland 1,6 Babys geboren, das macht 2340 neue Erdenbürger jeden Tag. Die meisten davon waren von den Eltern gewünscht und mehr oder weniger geplant. Aber was treibt Eltern heute an, Kinder in die Welt zu setzen?
Der Nachwuchs als Altersvorsorge – diese Funktion rückt mehr und mehr in den Hintergrund. Für die Entscheidung, Kinder in die Welt zu setzen, spielen andere Gründe inzwischen eine größere Rolle.
Pro Minute werden in Deutschland 1,6 Babys geboren, das macht 2340 neue Erdenbürger jeden Tag. Die meisten davon waren von den Eltern gewünscht und mehr oder weniger geplant. Aber was treibt Eltern heute an, Kinder in die Welt zu setzen?
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Während frühere Generationen noch darauf angewiesen waren, genügend Nachwuchs zu zeugen, damit der Familienbauernhof bewirtschaftet werden konnte, ist dieses Denken zumindest den meisten Angestellten heute fremd. Sie zahlen jeden Monat in ihre Altersvorsorge und in die Pflegeversicherung ein, damit sie auch im Alter zurechtkommen – eigenen Nachwuchs braucht man auch heute nicht mehr zwingend.
Natürlich bauen unser Rentensystem und die ganze Wirtschaft darauf auf, dass Generationen nachrücken. Aber denkt eine Frau, denkt ein Mann wirklich daran, wenn sie eine Familie planen? Oder was sind ihre Gründe, sich für Kinder zu entscheiden? Und sind den Eltern diese Gründe überhaupt rational bewusst? Oder passiert das mehr aus einem unterbewussten Bedürfnis heraus, sich fortzupflanzen, die eigene Art zu sichern? Was aber ist dann mit all den Menschen, die bewusst keine Kinder wollen?
„Das sind tatsächlich gar nicht besonders viele“, stellt Martin Bujard klar. Bujard ist Forschungsdirektor am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung. Eigens für unsere Zeitung hat er das familiendemografische Panel Freda auf die Frage nach dem Kinderwunsch hin ausgewertet.
Das Ergebnis: Nur sieben Prozent der Männer und neun Prozent der Frauen mit Anfang 20 finden es ideal, keine Kinder zu bekommen. „Tatsächlich bleiben später dann über 20 Prozent der Männer und Frauen kinderlos, aber ein Großteil davon eben auch ungewollt“, sagt Martin Bujard.
Kinder zu haben gehört also für die meisten Menschen einfach zum Leben dazu. Welchen Nutzen Kinder für die Eltern haben, hat eine Studie („Value of children“, Der Wert von Kindern) in den 70er Jahren untersucht. Demnach spielen vor allem emotionale und soziale Gründe bei der Familienplanung eine Rolle.
„Kinder geben einem das Gefühl, gebraucht zu werden, sie machen das Leben intensiver und erfüllter, geben Zuneigung und Liebe, oft ein Leben lang“, sagt Martin Bujard. Das sei gerade in der heutigen Gesellschaft wichtig, die viele Menschen als anonym empfänden.
Eine große Rolle spielt Bujard zufolge aber auch die herrschende gesellschaftliche Norm. Wenn sich ein Paar gefunden hat und plant zusammenzubleiben, dann will es meist auch Kinder. „Das wird oft gar nicht groß hinterfragt. Eher dann schon die Zahl der Kinder, und hier ist in Deutschland die Zwei-Kind-Norm sehr weit verbreitet“, sagt Martin Bujard.
Im Mutterpass ist Platz für zwei Kinder, in ein normales Auto passen zwei Kindersitze auf die Rückbank. Kinderbücher deutscher Autoren handeln in der Regel von vierköpfigen Familien, und die meisten Häuser oder Wohnungen sind so geplant, dass es dort höchstens zwei Kinderzimmer gibt.
Diese Beispiele zeigen: Die Frage ob und wenn ja wie viele Kinder man bekommt, hängt auch stark vom gesellschaftlichen Bild ab, mit dem man aufwächst. „In den Kinderbüchern von Astrid Lindgren dagegen gibt es beispielsweise immer auch Familien mit drei Kindern“, sagt Martin Bujard. Schweden hat im Vergleich zu anderen europäischen Ländern traditionell eine vergleichsweise hohe Geburtenrate.
Bei der Erklärung, warum Menschen Kinder wollen, sollte auch die biologische Fortpflanzungsfunktion nicht unterschätzt werden. „Zu wissen, dass man zwar irgendwann sterben muss, in den Kindern aber etwas von einem weiterlebt, spielt sicherlich auch eine Rolle für Eltern“, sagt Martin Bujard.
Schließlich hängt daran auch die Möglichkeit, eigene Gene, Werte oder auch ganz konkret Besitztümer wie ein Unternehmen oder ein Haus an die nächste Generation weitergeben zu können.
Nähert man sich der Frage des Kinderkriegens eher von der philosophisch-ethischen Seite, stößt man auf das Buch „Kinder wollen. Über Autonomie und Verantwortung“ von Barbara Bleisch und Andrea Büchler, beide Mitglieder des Ethikzentrums der Universität Zürich. Die Autorinnen kommen darin zu dem Schluss, dass Elternschaft etwas absolut Unvorhersehbares ist.
Man weiß nicht, wie es sich anfühlen wird, Eltern zu sein, ob man dieses Leben mögen wird oder nicht. Man weiß nicht, welche Persönlichkeit das Kind entwickelt und wie das Verhältnis zu den Eltern aussehen wird, ja, ob ihm nicht vielleicht sogar irgendwann etwas zustoßen wird. Und weil man eben all diese Dinge nicht weiß, bevor man Kinder bekommt, ist es gar nicht möglich, sich aus rationalen Gründen heraus für oder gegen Kinder zu entscheiden.
So kommen Barbara Bleisch und Andrea Büchler in einem Essay für den „Tagesspiegel“ zu folgendem Fazit: „Tatsächlich gibt es wenige Dinge im Leben, die so anspruchsvoll, emotionsreich, kosten- und zeitintensiv und gleichzeitig exklusiv, unumkehrbar und unvorhersehbar sind wie Elternschaft.
Schon alleine diese Überlegungen zeigen, dass ein Abwägen für und wider Kinder ganz offensichtlich äußerst schwierig ist und dass das Kinder-Wollen vielleicht weniger als eine Entscheidung beschrieben werden muss denn als eine Sehnsucht und ein Abenteuer.“
Boom-Jahre
Die in den 1930er Jahren geborenen Frauen haben dem Statistischen Bundesamt zufolge noch durchschnittlich mehr als zwei Kinder bekommen. Ihre Familiengründungsphase fiel in die Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs der 1950er und 1960er Jahre. Bereits bei den ab Mitte der 1930er Jahre geborenen Frauen zeichnete sich jedoch ein Rückgang der endgültigen Kinderzahl je Frau ab (heute: 1,5), außerdem stieg der Anteil der kinderlosen Frauen – und hat sich seitdem bei rund 20 Prozent stabilisiert.
Frauen werden später Mutter
Frauen bekommen ihre Kinder in einem immer höheren Alter. Im Jahr 2020 waren die Mütter der Erstgeborenen im Durchschnitt 30 Jahre alt. Im Jahr 1970 war dagegen eine Frau beim ersten Kind im früheren Bundesgebiet etwa 24 Jahre alt und in der ehemaligen DDR sogar erst 22 Jahre alt.