Veranstaltungstipps Wolfgang Niedecken: "Ohne meine Familie wäre ich verloren"

Das Gespräch führte Steffen Rüth
 Foto: Tina Niedecken

BAP-Gründer Wolfgang Niedecken legte kürzlich mit „Das Familienalbum – Reinrassije Stroßekööter“ sein fünftes Soloalbum vor. Im Sommer und Herbst geht er auch auf Tour.

 
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Herr Niedecken, wie wichtig ist Ihnen Familie?
Extrem wichtig. Ohne meine Familie wäre ich vermutlich verloren und zum Eigenbrötler geworden. Ich rufe ungern jemanden an, um mal vorbeizukommen, und auf die Idee, alleine in die Kneipe zu gehen, käme ich auch nicht. Ich gehe aber sehr gerne mit meiner Frau lecker essen, hinterher vielleicht noch was trinken. Auch unsere Töchter, die 21 und 23 Jahre alt sind, kommen dann oft mit. Das empfinde ich als große Ehre. Ich würde sogar sagen, wir sind die besten Freunde unserer Töchter.

Sie waren auch zusammen mit ihrer Frau Tina, einer Fotografin, und ihrer Tochter Isis in New Orleans, wo Sie „Das Familienalbum – Reinrassije Strooßeköter“ eingespielt haben. Wie war es dort?
Traumhaft. Wir haben in Algiers gewohnt, auf der anderen Seite des Mississippi, und sind jeden Morgen mit der Fähre rübergefahren ins French Quarter. Die Fahrt kostet für Rentner und Studenten nur einen Dollar, die einzige, die die vollen zwei Dollar bezahlen musste, war meine Frau (lacht).

Im Rentenalter zu sein hat also auch Vorteile. Fühlen Sie sich manchmal wie ein Rentner?
Nein, überhaupt nicht. Der Gedanke ist total komisch für mich. Was würde ich als Rentner denn tun? Wenn man mir jetzt verböte, Gitarre zu spielen, dann würde ich halt malen oder schreiben. Es gibt tausend Sachen, die ich gerne mache. So lange ich es gesundheitlich und von der Kondition und Motivation her schaffe, muss das klassische Rentnerleben warten.

Verglichen mit ihren Idolen wie den Rolling Stones oder Bob Dylan sind Sie ja auch noch ein junger Spund.
Das stimmt. Keith Richards sieht auch so langsam echt bedenklich aus, aber er wirkt immer noch so, als liebe er seinen Beruf. Er altert in Würde auf der Bühne. Und in meinem Alter gehört man nun mal zu den Musikern, denen man dabei zugucken kann, wie sie auf der Bühne alt werden.

Gibt es den „Chippendale-Desch“, also den Chippendale-Tisch, noch, den Sie im gleichnamigen Lied besingen?
Ja. „Chippendale-Desch“ ist das Danklied an meine Mutter, ich schrieb es in der Woche, nachdem sie gestorben war. Meine Mutter hatte Alzheimer. An diesem Tisch hat alles stattgefunden in unserer Familie, hier haben wir gegessen. Und hier spielte ich auf der Gitarre meines großen Halbbruders so oft „House Of The Rising Sun“, bis meine Mutter zu meinem Vater sagte: „Josef, ich glaube, der Junge braucht jetzt eine eigene Gitarre“. So kam es dann auch.

Wo steht der Tisch heute?
Bei mir im Arbeitszimmer. Er wird sehr geehrt, ich habe ihn immer in Sichtweite. Das Arbeitszimmer ist übrigens mein Lieblingsort bei uns im Haus. Besonders, wenn alle vier Kinder da sind, ist der Raum meine Oase. Wir leben direkt am Rhein, und wenn ich zur Ruhe kommen will, schaue ich einfach aus dem Fenster. Ich liebe den Rhein über alles.

Wann haben Sie sich eigentlich entschieden, nach „Zosamme alt“ aus dem Jahr 2013 und der letztjährigen BAP-Platte „Lebenslänglich“ ein weiteres Solo-Album aufzunehmen?
Schon Ende 2012, als wir in Woodstock „Zosamme alt“ aufnahmen, das Album mit lauter Liebesliedern für meine Frau. Das hat so viel Spaß gemacht, dass ich der Band versprach, noch ein weiteres monothematisches Album zu machen, sofern „Zosamme alt“ halbwegs funktioniert, was es dann auch tat. Wir wollten erneut ein Album wie aus einem Guss machen, es sollte schön organisch, entspannt und gelassen klingen. Ein bisschen musikalische Gemütlichkeit steht mir als 66-Jährigem ja wohl auch zu (lacht). Dass wir nach New Orleans gehen und dass „Family Affairs“ der Oberbegriff sein würde, das wusste ich damals auch bereits. Im Mai sind wir dann nach New Orleans geflogen, als Produzent war wieder mein alter Freund Julian Dawson mit dabei, außerdem tolle Leute wie Schlagzeuger J.J. Johnson und der Bassist Roscoe Beck, der vor über 30 Jahren „Famous Blue Raincoat“ produziert hat, das Leonard Cohen-Coveralbum von Jennifer Warnes. Ach ja (seufzt).

Was ist?
Die Albumpräsentation 1986 im Münchener Parkcafé war das erste Konzert, das ich mit Tina zusammen besuchte. Wir trafen uns damals noch im Geheimen, es war überhaupt eine unserer ersten Verabredungen. Die Tina lebte damals in München, wir hatten uns auf einem Flug von Köln nach München kennengelernte. Meine erste Ehe war damals bereits ziemlich weit unten, und mir ging es überhaupt nicht gut. Tja, und dann das. Schon irre. Leonard Cohen war damals auch dabei, sie sangen zusammen „First We Take Manhattan“. Und jetzt spielt der Produzent von dem Album in meiner Band.

Zählt Leonard Cohen neben Bob Dylan zu Ihren Helden?
Aber ja. Cohen hat durch Dylan überhaupt erst angefangen, seine Gedichte zu singen. Vorher war er Lyriker.

Fanden Sie es eigentlich in Ordnung, dass Dylan seinen Literaturnobelreis im vergangenen Jahr nicht persönlich in Empfang genommen hat?
Absolut. Preisverleihungen waren Dylan immer unangenehm, er ist tatsächlich schüchtern. Selbst als Barack Obama ihm den höchsten amerikanischen Kulturpreis verlieh, sagte Dylan kein Wort. Und Obama, der hinterher dazu befragt wurde: „Ich bin nur der Präsident der Vereinigten Staaten. Aber er ist Bob Dylan“. Ich verdanke dem Mann so viel. Er muss sich nicht einschleimen, wenn er das nicht möchte. Hauptsache, es geht ihm gut.

Sie engagieren sich seit Jahrzehnten gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus, zudem unterstützen Sie mit dem Projekt „Rebound“ ehemalige Kindersoldaten im Ost-Kongo. Wie sehr verzweifeln Sie am weltweit aufkeimenden Populismus?
Ich muss mich immer wieder aufraffen und mir sagen „Gib‘ diesen Arschgeigen nicht nach“. Was ich lernen musste, ist, mit wieviel Hass manche Leute im Internet unterwegs sind. Wenn ich in den Sozialen Medien etwas schreibe, setzen sich diese rechten Parasiten, die zu blöde sind, meinen Namen richtig zu schreiben, sofort da drauf. Anfangs dachte ich noch, als guter Demokrat muss ich das im Netz stehenlassen, aber das muss ich gar nicht. Ich lasse es nicht zu, dass jemand mein Schaufenster zumüllt. Dieser Dreck aus Richtung AfD und Konsorten, der wird gelöscht.

Macht ein Donald Trump Ihnen Angst?
Ja. Ich vertraue zwar auf das amerikanische System und hoffe, dass der Kongress es nicht zum Äußersten kommen lässt, aber der Kerl hat nun einmal die Gewalt übe den roten Knopf. Wenn er abdrückt, wird ein großer Teil Asiens nuklear verseucht sein. Meine Frau und ich waren im Januar in Indien, ich schrieb dort den Titelsong „Reinrassije Strooßekööter“. Wir lebten in Zelten, und es war wirklich eine wunderbare Zeit. Aber selbst dort bekamen wir mit, wie die Regentschaft Obamas endete und dieser skrupellose Menschenverachter inthronisiert wurde. Das war so bitter, ich konnte selbst in Indien nicht loslassen.

Die reinrassigen Straßenköter, sind das wir alle?
Ja, natürlich. Der Begriff ist nur scheinbar ein Widerspruch. In Millionen von Jahren haben wir uns sehr gründlich vermischt.

Das letzte Lied, das ursprünglich vom BAP-Album „Radio Pandora“ stammt, heißt „Et ess wie’t ess“. Eine typische Kölner Redewendung. Wie Kölsch ist Wolfgang Niedecken?
Sehr. Das steckt einfach in mir. Ich bin ein verbindlicher Mensch. Auf der Bühne sehe ich mich als Gastgeber. In der Hinsicht ähnele ich Bruce Springsteen, der feiert auch gern mit den Leuten. Warum soll ich einen auf cool machen?

Was ist für Sie das Besondere am Kölner an sich?
Eine der großen Stärken von uns Kölnern ist, dass wir selbst in den niederschmetterndsten Situationen noch mit Humor daherkommen, was auf jeden Fall besser ist, als zu verzweifeln. Ich bin sehr froh, dass ich in Köln meinen Heimathafen habe. Die Kölner sind gemütlich, sie schließen und grenzen niemanden aus. Der Patriotismus des Kölners ist ein einladender.

Niedecken's BAP auf Tour

Die Kölschrockband um Wolfgang Niedecken ist am 14. Oktober um 19 Uhr im Haus Auensee in Leipzig zu Gast. Karten gibt es im Ticketshop unserer Zeitung.