Medellin - Tomate de Arbol oder Tree Tomato - angesichts des Namens kommt einem hier die Tomate in den Sinn, die gern mal mit Mozzarella gepaart auf dem Teller serviert wird. Doch weit gefehlt: Bei der Tomate de Arbol, die tatsächlich aussieht wie eine längliche Tomate, handelt es sich um eine köstliche Frucht, die man auslöffeln kann. In Kolumbien wähnt sich der Reisende in einem wahren Früchte-Paradies. Denn hier gibt es sage und schreibe 433 Sorten Obst, wie Jennifer - halb Amerikanerin, halb Kolumbianerin - bei der Exotic-Fruits-Tour in Medellin erzählt. Obwohl ich schon viele Länder der Welt bereist habe, habe ich mich längst nicht an jedes Obst herangetraut. Nach dieser Tour sieht die Sache anders aus. Leo und ich wissen jetzt eine ganze Menge mehr und lassen uns die Köstlichkeiten auch in Zukunft auf der Zunge zergehen.

Lulo, auch Little Orange genannt, gibt es an vielen Saftständen - frisch im Mixer zermalmt - zu kaufen. Gemischt mit Limette wird Luli daraus. Einfach wunderbar köstlich und erfrischend. Einen Vergleich mit einer Frucht, die in deutschen Lebensmittelmärkten verkauft wird, gibt es leider nicht. Eine Exotin für sich! Während ich aus Deutschland nur die kleinen, leicht verschrumpelten Maracujas mit der lilafarbenen Schale kenne, deren fruchtiges Innenleben man auslöffeln kann, gibt es hier die kleinere Schwester namens Curuba, bei deren Verzehr es einem jedoch ein wenig die Nackenhaare aufstellt angesichts der enormen Säure. Doppelt so groß ist die Maracuja mit der gelben Schale, die ich favorisiere. Dass nicht jeder den gleichen Geschmackssinn hat, erlebe ich bei der Tour, denn einige der Mädels - wir traben zu acht mit Jennifer über den Obst- und Gemüsemarkt - verziehen angewidert das Gesicht.


Nispero und Cherimoya - nicht schön, aber köstlich

Feijoa, eine längliche grüne Frucht, hätte ich nie angerührt. Beim Auslöffeln bleibe ich dabei. Ich werde sie auch künftig nicht anrühren. Ganz anders verhält es sich da mit der Nispero, einer Frucht, die aussieht wie eine schrumpelige, kleine Kartoffel. Doch das Innenleben offenbart eine wahre Geschmacksexplosion in meinem Mund. Die Cherimoya - im Englischen als Custard Apple benamt - ist eine grüne Frucht mit harter Schale. Ihre noch größere Schwester hat fast die Ausmaße eines Luftballons und trägt Stacheln. Eines haben beide gemeinsam: Wenn man sie öffnet, sieht die weiße Frucht richtig schmierig aus, gerade so, als müsste man sie nicht unbedingt probieren. Die Neugierde obsiegt. Und in der Tat ist dies eine der köstlichsten Früchte, die ich je gegessen habe. Man darf sich also nie - wie im Umgang mit Menschen auch - von Schönheit blenden lassen.

Tamarindo wächst in braunen Schoten, deren Fruchtfleisch sehr säuerlich schmeckt. Es gibt sie auch in gepresster Form in asiatischen Läden in Deutschland zu kaufen. Algarroba ist eine riesige Schote, deren Innenleben nur mit Gewalt ans Licht gebracht werden kann. Mit einem Hammer haut Jennifer auf die Frucht auf dem Boden. Die weißgelbe Füllung ist ein wenig mehlig und bröselig. Und macht nicht unbedingt Appetit, zumal die Frucht nach alten, getragenen Socken riecht. Pulverisiert wird die Füllung zu Mix-Getränken gegeben. Wie winzige, verschrumpelte Tomaten oder Chili-Schoten in Rot und Gelb sieht die Chontaduro aus. Die Frucht selbst kann man ausgepuhlt in kleinen Plastikbechern am Straßenrand kaufen, überzogen mit etwas Honig und Salz. Der Geschmack erinnert an gekochte Kartoffeln. Durchaus eine gesunde Zwischenmahlzeit.

Dass Banane nicht gleich Banane ist, weiß in Kolumbien ein jeder. Denn die gibt es als Platanos in den verschiedensten Farben, Formen und Größen. Während die kleinen süß und köstlich schmecken, sind die großen grünen, deren Enden nicht rund, sondern spitz zulaufen, nur zum Kochen gedacht. Sie werden fein gehobelt und dann ins Fritierfett gegeben. Oder sie werden gekocht, anschließend platt gedrückt und dann in der Pfanne angebraten. Die Platano findet sich täglich auf dem Teller der Kolumbianer.


Arepa ist das Brot der Kolumbianer

Wie bei uns das Brot fast jeden Tag auf den Tisch kommt, zählen Arepas zu den Standard-Gerichten im Land. Aus geschroteten Maiskörnern - die schaben Männer und Frauen auf dem Markt in mühevoller Arbeit ab - und Wasser wird ein Teig zusammengeknetet, der dann im Fett herausgebacken wird. Mal gibt es sie mit Käse gefüllt oder einfach auf dem Frühstücksteller serviert. Arepa wird zu jeder Tages- und Nachtzeit gegessen. Am Straßenrand bieten die Händler nicht nur Kokosnüsse, Mangos in allen Farben und Größen oder Erdbeeren an, die in den höher gelegenen Gebieten in Massen gedeihen, sondern auch Butifarras (kleine geräucherte Fleischbällchen), Hühnchen frittiert oder gegrillt, Reis in Bananenblättern und natürlich Reis und Bohnen.

Da viele der Traveller, die ich auf meiner Reise kennenlerne, noch sehr jung sind und das Budget im Geldbeutel recht schmal ist, tun sich viele von ihnen zusammen, um im Supermarkt einzukaufen und dann gemeinsam in den Hostel-Küchen zu kochen. Das lohnt sich für mich erstmals, als ich mit Brigitte gemeinsam koche, denn sonst bliebe ja stets eine Menge übrig. Allerdings werden abends in der Regel um die gleiche Uhrzeit die Messer gewetzt. Jeder erkämpft sich einen Schnippel- und Kochplatz. Und man muss schon ein Auge auf seine Zutaten werfen, damit die nicht plötzlich Beine bekommen und auf anderer Leute Teller landen. Eine vegetarische Köstlichkeit genießen wir nach unserem Ausflug mit der Seilbahn in den Parque Arvi. Hier gibt es riesige Champignon-Köpfe, gefüllt mit Käse oder Kräutern, vom Grill. Und dazu ein einheimisches Bier. Der Parque Arvi erinnert mich ein wenig an meine bergige, mit dunklen Bäumen überzogene Heimat, das Fichtelgebirge. In dieser fast 18 Quadratkilometer großen Bergwildnis oberhalb Medellins gibt es eine Vielzahl an Wanderwegen.


Luxus-Nüsse aus dem Supermarkt

Was man tunlichst vermeiden sollte, ist das Einkaufen im Supermarkt - hier gibt es sogar extra Kassen für Behinderte und Schwangere - an einem Sonntag in Medellin. Es scheint die Krönung des Sonntags nach einem gemeinsamen Ausflug zu sein: Die Familie geht vereint zum Shopping. Die ohnehin schon mächtigen Einkaufswagen quellen schier über. Und das Anstehen an einer der 26 Kassen wird nur zum Vergnügen, indem man die Leute um sich herum studiert. Was man ebenfalls tunlichst vermeiden sollte, wenn der Besuch eines Supermarkts ansteht und man so alt ist wie ich: die Lesebrille vergessen. Ich wundere mich an der Kasse schon, wieso ich so viel bezahlen muss. Die zwei Flaschen Rotwein allein können es nicht gewesen sein. Im Hotelzimmer angekommen, studiere ich meinen Kassenbon noch einmal und blicke vor Entsetzen auf meinen kleinen Becher mit den Pecan-Nüssen. Anstatt um die 2000 Pesos, die ich erblinzelt habe, kosten diese 22.039 Pesos. Das sind umgerechnet knapp neun Euro. Wer mich näher kennt, weiß, dass ich alles andere als geizig bin. Aber für diesen Preis hätte ich mir die Nüsse beim besten Willen niemals geleistet. Brigitte und ich naschen mit besonderer Würde von den Luxus-Pecan-Nüssen.

Während ich in Santa Marta ja schon erstaunt war angesichts des üppigen Angebots an Klamotten, Schuhen und weiß der Teufel was, verschlägt es einem in Medellin glatt die Sprache. Vor etlichen Geschäften stehen "Alleinunterhalter", die per Mikrofon auf die sensationellen Angebote im Laden aufmerksam machen. Mobile Blumenshops reihen sich vor zahlreichen Schaufenstern, in denen üppige Ballkleider in wahren Mengen locken. Die Stoffe mag man nicht wirklich gern anfassen, geschweige denn auf der Haut tragen. Und dennoch findet alles seine Abnehmer. Der große Markt in Medellin hat neben all den Gaumenfreuden übrigens auch einen Gebrauchtmarkt zu bieten. Jennifer betont: "Wenn man hier nichts kriegt, dann nirgendwo." Und so reihen sich neben gebrauchten Toilettenschüsseln oder -spülkästen Fernseher oder Teile davon, Überbleibsel von Stereoanlagen und dergleichen mehr.



Harte Porno-DVDs hinter der Kirche

Vor der Iglesia de la Veracruz - die Kirche wurde 1803 fertiggestellt - sitzen neben den zahllosen Straßenhändlern, die von winzigen Kaugummi-Päckchen bis hin zu einzelnen Bonbons und Zigaretten alles verkaufen - viele Damen, die nur schwerlich als schön oder besonders anziehend zu bezeichnen sind. Sie verdienen auch im Angesicht der Polizei ihr Geld mit Prostitution, wie Juana, die einige Traveller und natürlich Leo und mich bei der City-Tour begleitet, erzählt. Obwohl ich schon einmal erwähnt habe, dass weibliche Kurven in Kolumbien das Non plus ultra sind, dennoch Brustwarzen im Fernsehen mit schwarzen Punkten abgedeckt werden, erscheint für mich die kleine Marktstraße hinter einer weiteren Kirche, in der gerade vor vollem Gotteshaus gepredigt wird, wie eine Fatamorgana. Knallharte Pornos auf DVDs werden hier mit den härtesten Fotos auf vielen Tischen freizügig angeboten. Der englische Scherzkeks Matt, der neben mir her spaziert, bedeckt sein Antlitz, um schmunzelnd durch die Fingerspitzen zu blinzeln. "Sind wir endlich durch?", meint er heiter mit einem kumpelhaften Schlag auf meine Schulter. Nach der Tour fährt er weiter in die Zona Cafetera, wohin ich ein paar Tage später gemeinsam mit Brigitte reisen werde. Ein bisschen Gesellschaft tut vielleicht ganz gut.


Trinkbares Leitungswasser

Die Stadtführung geht weiter: Auf dem "Square of Lights" ragen unendlich viele Stelen in die Höhe, die bei Nacht leuchten. Ein absolutes Highlight ist der 1925 gebaute Palacio Nacional, in dem heute 400 Shops untergebracht sind. Wandeln unter den Arkaden, wo heute Rolltreppen nach oben führen, in deren Glanz sich die alte Architektur widerspiegelt. Im Parque Bolivar tummeln sich neben Hunderten von Tauben zahlreiche Schuhputzer, lassen sich Zeitung lesende Menschen in schicken Anzügen in der Büro-Pause die Treter polieren. Dazwischen dröhnt immer wieder das Geschrei der Männer, die auf Tabletts Plastikbecher mit gelb-grünen Getränken jonglieren. "Guarapo, Guarapo", gröhlen sie und wollen das erfrischende Getränk für 1000 Pesos (40 Euro-Cent) unter die Leute bringen. Es schmeckt in der Tat lecker. Es ist gepresstes Zuckerrohr, gemischt mit Limettensaft auf Eiswürfeln. Apropos Getränke: In Medellin kann man das Leitungswasser trinken. Es ist das erste Mal, seit ich unterwegs bin, dass ich mir das Heranschleppen von Wasser sparen kann.

In einer weiteren Straße reihen sich an kleinen Tischchen unter Sonnenschirmen Menschen an Schreibmaschinen aneinander. Hier stehen die Leute an, die weder über Computer oder eben über eine Schreibmaschine aus jener Zeit verfügen, als ich meine Journalisten-Laufbahn begonnen habe. Und das war Anfang der 80er-Jahre. Hier also haben jene Relikte aus der Vergangenheit mit den Namen Gabriele oder Erika überlebt. Jeglicher Schriftverkehr wird gegen Gebühr erledigt, während sich der Straßenverkehr laut und stinkend vorbeischiebt. Fußgänger gehen ebenso bei Rot über die Straße, wie auch Autofahrer gern einmal bei Rot noch aufs Gas drücken. Was in vielen Ländern der Welt Usus ist, ist auch hier überall zu finden: Ampeln, die den Fußgängern anzeigen, wieviele Sekunden ihnen noch Zeit bleibt, die Straße zu überqueren. In vielen Dingen ist Deutschland einfach zu rückschrittlich, wie ich immer wieder auf Reisen feststellen kann. Auf etwa hundert Meter Gehsteig, Straße oder Park kommen hier zuweilen an die zehn Polizisten. Das verdeutlicht, dass die Kriminalität in der einst gewalttätigsten Stadt der Welt noch längst nicht gebannt ist.


Bomben-Attentat mit 28 Toten

Zurück zur Tour mit Juana: Die prächtigen und mächtigen Kunstwerke entlang des Botero-Square - in der Stadt gibt es 23 riesige Figuren des Künstlers - sind ein Blickfang ganz besonderer Art. Fernando Botero, 1932 geboren, ist einer der bekanntesten bildenden Künstler Lateinamerikas. Bereits Ende der 1950er-Jahre hat er zu seinem eigenen, heute weltberühmten Stil gefunden. Sein Thema ist der Mensch, das menschliche Leben mit all seinen Facetten. Die Darstellung der Figur erlebt eine besondere Ausprägung in seinen Arbeiten, denn er zeigt den menschlichen Körper, wie auch alle anderen Formen, in überzeichneten Proportionen. Die Kunst von Botero verfügt über eine sehr spezielle Charakteristik. Alle seine Figuren sind dick, ja, sehr dick. 1977 schuf der Künstler beispielsweise eine Variation von Leonardo da Vincis Mona Lisa mit kugelrundem Gesicht. Ehe ich Medellin verlasse, genieße ich im Museo de Antioquia nicht nur prähispanische, koloniale und moderne Kunst, sondern auch Boteros grandiose Skulpturen und dessen riesige Bilder. Unter anderem hat Botero, der noch lebt, den Tod von Pablo Escobar auf den Dächern Medellins in zweien seiner Kunstwerke verewigt.

Im Parque San Antonio, der in unserem Sinne kein richtiger Park ist, mehr ein kahler, großer Platz, findet unsere Tour einen sehr nachdenklichen Abschluss: Ein 14-Jähriger versteckt 1995, am 10. Juni damals, in einer Botero-Skulptur eine Bombe. In einem fetten Bronze-Vogel. Während eines Musik-Festivals, zu dem Tausende von Menschen kommen, geht die Bombe in die Luft. 28 Menschen sterben, rund 200 werden verletzt. Der zerfetzte Vogel des berühmten Künstlers steht noch heute als Mahnmal neben seinem heilen Ebenbild. Er soll die Menschen daran erinnern, dass die brutalen Zeiten, jene, als Medellin die gefährlichste Stadt der Welt war, vorbei sind. Es bliebe sehr zu wünschen.